Falsche Vorurteile: über das negative Image der Selbstständigkeit

Auf Instagram nehmen wir regelmäßig am Lektorenmontag bzw. Lektor:innenmontag teil, bei dem Selbstständige aus unserer Branche jeden Montag ihr Wissen rund ums Schreiben und Lektorieren. Thema ist zudem manchmal die Selbstständigkeit selbst – so wie Ende 2021. Die positive Resonanz auf unsere Instagram-Beiträge hat uns veranlasst, diesen Beitrag dazu zu verfassen.


Mit der Arbeitswelt ist es ein bisschen wie in dem Märchen „Rotkäppchen”: Wer den Idealweg zur Großmutter nimmt, durchläuft Schule, Studium, Festanstellung – am besten unbefristet – und am Ende gibt es Wein und Kuchen für alle. Und dann sind da noch die, die sich vom bösen Wolf auf die bunte Blumenwiese führen lassen und so leider vom rechten Weg abgekommen sind: willkommen in der Welt der Solo-Selbstständigen. So schlecht ist es dort aber im Übrigen gar nicht. Denn viele Vorurteile, denen Selbstständige begegnen, sind schlichtweg ein Märchen.

Selbst und ständig versus Was machst du eigentlich den ganzen Tag?

„Selbst und ständig” – eine oft gehörte Redewendung mit dem Anschein: Selbstständige, das sind die, bei denen nachts um zwei noch die Schreibtischlampe brennt, die sich Sonntagmorgens einen Wecker auf sechs Uhr früh stellen, um am Ende des Monats trotzdem bange auf das Bankkonto zu blicken. Was Elke aus ihrem Bekanntenkreis hörte: Die ersten Jahre sei eine 60-Stunden-Woche normal, das müsse man erst einmal durchhalten. Hören Sie das unterschwellige „Das schaffst du sowieso nicht” auch so deutlich?

Ein weiterer Satz, den viele Selbstständige oft hören (wir selbst zum Glück nicht oft) lautet: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?” Gerade wer von zuhause aus arbeitet, schläft in der Vorstellung vieler Außenstehenden aus, trinkt dann erstmal ein Käffchen und hängt bis mittags im Schlafanzug herum, ehe er für ein Stündchen den PC hochfährt. Auch schön: „Und wann willst du eigentlich mal wieder was Richtiges machen?” Glücklicherweise scheinen die Pandemie und die damit einhergehende Homeoffice-Pflicht dieses Bild ein wenig verändert zu haben.

Als Freiberufler zu arbeiten, bedeutet Unsicherheit.

Die Deutschen sind ja so sicherheitsbedürftig. Leider klebt das Etikett „Unsicher!” an der Selbstständigkeit wie der Chiquita-Aufkleber an einer Banane. Da hilft nur abpuhlen: Schließlich besitzen auch Bald-Selbstständige die beeindruckende Fähigkeit, in die Zukunft zu denken und vorab Risiken zu kalkulieren.

Bestes Beispiel ist Elke, die schon während ihrer letzten Festanstellung nebenberuflich lektorierte und übersetzte und bereits mit einem kleinen Kundenstamm und einem Businessplan in die Selbstständigkeit startete. Und selbst, wenn das Netzwerk zu Beginn noch klein ist, sind wir überzeugt, dass sich nach einer gewissen Durststrecke die eigene Nische eröffnet.

Selbstständig sein macht immer Spaß!

Schön wär’s, wenn die Selbstständigkeit immer schön wäre. Leider gibt es da diese Tage, an denen hundert Sachen fertig werden müssen und am besten bitte bis gestern. Diese Tage, an denen das Hirn einfach so gar nichts hergibt und man schreibt, wie ein Kleinkind laufen lernt: holprig, im Schneckentempo und mit bescheidenem Erfolg. Und nicht zuletzt diese Tage, an denen wir von der Welt der Buchstaben in die der Zahlen wechseln müssen, weil die Buchhaltung ruft! Wie gerne würden wir uns da taub stellen und warten, bis sie sich von selbst erledigt hat.

Aber mal ehrlich – vor solchen Tagen schützt auch das Angestelltendasein nicht. Im Gegenteil: Während wir als Selbstständige zumindest gelegentlich die Möglichkeit haben, an solchen Tagen nur das Nötigste zu erledigen, Energie zu tanken und den Rest zu einem produktiveren Zeitpunkt zu erledigen, haben es viele Arbeitnehmer:innen nicht so schön. Trotzdem. Wenn der Computer zickt, wünschen auch wir uns manchmal jemanden aus der IT-Abteilung herbei.

Sprüche, Reaktionen und Behauptungen: unser persönliches Best-of

Elkes Negativ-Highlight war die Frage, wann sie denn endlich Kinder plane – schließlich sei das für eine Frau der einzige Grund, sich selbstständig zu machen. Auch schön: In Zeiten von Google-Übersetzer und Duden-Rechtschreibprüfung brauche es bald sicher keine Lektor:innen und Übersetzer:innen mehr. Von unseren Instagram-Followern kamen Kommentare mit weiteren Geschichten: Die Selbstständigkeit sei viel zu riskant, zu kompliziert, was Steuern, Versicherungen und Co angehe. Oder von einer Dolmetscherin, die normalerweise „nur” von zuhause aus arbeitet und dann einmal unterwegs war zu einem Dolmetsch-Einsatz und von den Nachbarn den Spruch hörte: „Wie schön, Sie haben ja wieder Arbeit!”

Also: Lohnt sich die Selbstständigkeit?

Wir finden: ja, ja und nochmals ja! Und um noch einmal das Bild der Blumenwiese zu bemühen – wir haben festgestellt, dass dort die schönsten Blumen – Schrägstrich Projekte – nur darauf warten, gepflückt zu werden. Dazu kommt, dass hinter all diesen Projekten auch wunderbare Menschen stecken, mit denen wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Und: Seit wir selbstständig sind, arbeiten wir mit einer ganz anderen Motivation. Sie kommt aus dem Inneren, aus der Überzeugung, dass wir alle Arbeit für unsere eigene Marke tun statt für eine:n Arbeitgeber:in.

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