Voll „lost” – ein Brief zum Jugendwort des Jahres 2020

Liebe Jugendliche von heute,

nachdem 2019 auch ohne Jugendwort des Jahres auskam, hat der PONS-Verlag diesmal wieder eine Abstimmung organisiert. Das Ergebnis: Das Jugendwort des Jahres 2020 lautet „lost”. Beim wöchentlichen Textkonfekt-Talk, bei dem wir telefonisch alle wichtigen To-Dos auf für die kommenden Tage besprechen, haben wir festgestellt: Gerade was die Bedeutung des neuen Jugendworts anbelangt, fühlen wir uns ja sowas von lost! Also – ahnungslos oder unsicher, so wie ihr das Wort definiert.

Aber liegt das an uns? Oder daran, dass der Sieger der diesjährigen Wahl durchaus kreativer hätte ausfallen können? Immerhin hat das Wort „lost” ja schon genug Bedeutungen und ist daher schon ziemlich besetzt. Denn – um mal hier oberlehrerhaft den virtuellen Zeigefinger zu heben – normalerweise heißt „lost” einfach „verloren”. Verwendet wird es dem Oxford Learner’s Dictionary zufolge primär in folgenden Konstruktionen: „Lost” ist erstens zum Beispiel jemand, der seinen Weg nicht findet. Zweitens etwas, das unauffindbar ist – eben verloren gegangen, sei es nun eine Mail oder die eigene Jugend. Drittens ist jemand „lost”, der mit einer bestimmten Situation schlecht klarkommt. Oder viertens jemand, der eine Sache nicht versteht, weil sie einfach zu kompliziert ist – was ja durchaus mal vorkommen kann und eher an der Sache als an der Person liegt. Das „lost”, das ihr verwendet, hat dagegen einen etwas negativen Beigeschmack. Bei euch, so scheint es, bedeutet es eher so etwas wie „zu dämlich, um es zu kapieren”. Nicht besonders nett.

Ob sich das Jugendwort des Jahres 2020 im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen wird, ist für uns aber ohnehin fraglich. Auch dass es bereits eine ziemlich bedeutsame Lost Generation gibt (Jugendliche, die während und nach dem Ersten Weltkrieg aufgewachsen sind), macht die Sache nicht unbedingt besser. Denn was wollt ihr denn dann sein, vielleicht die „Lost”-Generation, die ahnungslos und unwissend durchs Leben steuert? Das wäre ja nicht gerade schmeichelhaft für euch.

Abgesehen davon kann sich euer Jugendwort auch bei Google eher schwer behaupten. Bei Jugendworten aus den vergangenen Jahren spuckt die Suchmaschine direkt die richtigen Treffer aus, egal ob bei „Ehrenmann/Ehrenfrau” aus dem Jahr 2018, „I bims” aus dem Jahr 2017 oder „fly sein” aus dem Jahr 2016. Wenn es um das Wort „lost” geht, ist leider ganz oben die Fernsehserie „Lost” von 2004 gelistet, es folgen die Serie „Lost in Space”, der Film „Lost River” sowie der DJ Lost Frequencies.

Vielleicht, liebe Jugendliche, wären „wild” bzw. „wyld” oder „cringe” dann doch die bessere Wahl gewesen.

Herzlichst,
das Textkonfekt-Team


Im Jahr 2008 kürte der Langenscheidt-Verlag erstmals das Jugendwort des Jahres; im Jahr 2020 hat der PONS-Verlag diese Tradition nach einjähriger Pause wiederaufgenommen. Bisher war es eine Jury, die das jeweilige Jugendwort ausloste. In diesem Jahr fand stattdessen erstmals eine Online-Befragung statt, bei der 48 Prozent der Teilnehmer für „lost” stimmten und sich damit gegen die beiden anderen Finalisten „wild” bzw. „wyld” und „cringe” aussprachen.

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