In der Schule lernten wir, so viele Synonyme wie möglich für Nomen, Verben und Adjektive zu verwenden. Das Ziel dahinter war klar: man wollte unseren Wortschatz vergrößern.
Eine noble Absicht, die leider zu allerlei weniger schönen Auswüchsen geführt hat: sprechende (und tote) Verben, Vampirverben und Inquit-Formeln.
Wir finden, Verben sind die unterschätzteste der deutschen Wortarten. Denn ein Satz kommt nicht ohne Verb aus, mit einem treffenden Verb hat er aber viele Nomen und Adjektive gar nicht mehr nötig. Kleines Beispiel gefällig?
Stellen Sie sich den folgenden Satz in der Über-Uns-Rubrik auf einer Unternehmensseite vor.
„Unsere Aufgabe ist das Lösen von Problemen.”
Das Problem: Der Satz ist umständlich formuliert und durch die „Aufgabe” klingt es zwar, als beschäftigten wir uns mit dem „Lösen von Problem”, lässt aber offen, ob wir das auch schaffen. Die Ergänzung bringt keinerlei Mehrwert, im Gegenteil.
Die Lösung: Kurz, knackig, elegant auf den Punkt. Der Satz wäre sogar mit einer Zusatzinformation kürzer als das Original:
„Wir lösen (Ihre) Probleme.”
Die Entscheidung darüber, ob es notwendig ist, in einem Text für potenzielle Kund:innen darauf hinzuweisen, dass „wir die Probleme der Kund:innen lösen” (wessen Probleme sonst?), bleibt Ihnen überlassen.
Sprechende Verben
Sprechende Verben sind besonders aussagekräftige Verben. Häufig vereinen sie eine Tätigkeit und ein entsprechendes Adjektiv oder Attribut in einem Wort.
„Beeil dich“, sagte er leise.
„Beeil dich“, flüsterte er.
Weitere Beispiele sind:
Schnell gehen – eilen
Wütend ansehen – anfunkeln
Leise sagen – flüstern, wispern, murmeln
Unter Schmerzen gehen – humpeln
Aber Achtung bei Inquit-Formeln:
„Beeil dich“, flüsterte er dabei leise.
Das ist Quatsch! Erstens beinhaltet das „Flüstern“ bereits die Information, dass leise gesprochen wird und zweitens ist „dabei“ in der Belletristik eines der unnötigsten Wörter überhaupt. Denn wenn nicht „dabei“, wann denn dann?
„Dabei“ brauchen wir nur dann, wenn es nicht logisch ersichtlich ist, dass die Handlungen gleichzeitig ablaufen – und selbst dann lässt es sich häufig durch ein unschuldiges „und“ ersetzen.
„Danke“, sagte er. Dabei führte er die flache Hand mit dem Handrücken nach außen vom Kinn weg, damit ihn auch die gehörlosen Teilnehmer und Teilnehmerinnen verstehen konnten.
„Danke“, sagte er und führte die flache Hand mit dem Handrücken nach außen vom Kinn weg, damit ihn auch die gehörlosen Teilnehmer und Teilnehmerinnen verstehen konnten.
Vampir-Verben
Die Bezeichnung „Vampir-Verben“ prägte unseres Wissens Hans-Peter Roentgen, der bereits eine ganze Reihe wunderbarer Bücher über das Schreiben veröffentlicht hat.
Dabei handelt es sich um Verben, die anderen Verben ihre Kraft nehmen und in 90 Prozent aller Fälle völlig unnötig sind. Als Beispiele nennt Roentgen die Verben anfangen, beginnen, versuchen, bekommen, spüren, scheinen und befinden – seinen wunderbaren Blogartikel zum Thema finden Sie hier.
Ein ganz besonderes Pet Peeve unserer Lektorin Elke ist die Formulierung „beginnen, etwas zu tun“ in belletristischen Texten.
In den meisten Fällen kann das „beginnen“ einfach weggelassen werden, denn wie soll eine Figur in einer Geschichte denn etwas tun, ohne damit einmal anzufangen? Natürlich muss die Figur einmal angefangen haben, daher ist es nicht nötig, das explizit zu erwähnen.
Er betrat das Arbeitszimmer des Verdächtigen und begann, sich umzusehen.
Er betrat das Arbeitszimmer des Verdächtigen und sah sich um.
Unser Tipp: Suchen Sie bei der Überarbeitung per Suchfunktion aktiv nach solchen Wörtern und prüft jeweils ganz genau, ob sie unbedingt notwendig sind. Die meisten sind es nämlich nicht und ohne sie wirkt der Text gleich viel lebendiger.
Wer sich beim Erkennen solcher Vampir-Verben und ihrer Freunde schwertut, muss sein Manuskript trotzdem nicht ohne Überarbeitung ins Lektorat geben: Die Stil- und Lesbarkeitsanalyse des Schreibprogramms Papyrus Autor markiert solche und ähnliche Probleme in Ihrem Text und erspart Ihrer Lektorin oder Ihrem Lektor unter Umständen viel Arbeit (und Ihnen bares Geld). Die einmalige Anschaffung des Programms ist nicht ganz billig (etwa 200 Euro), aber es gibt immer mal wieder Rabattaktionen.*
Inquit-Formeln
Wikipedia definiert die Inquit-Formel als eine formelhafte Redeeinleitung. Wenn ein Erzähler die Rede von Figuren berichtet, markiert er diese in vielen Fällen mit einer Inquit-Formel. Sie besteht im Allgemeinen aus einem Nomen oder Pronomen, das den Sprecher angibt und einem Verb des Sagens.
Wikipedia mag nicht immer die verlässlichste Quelle sein, aber die Definition birgt unserer Meinung nach den Knackpunkt: ein Verb des Sagens.
Immer öfter begegnen wir im Lektorat, aber auch in unzähligen gedruckten Texten Formulierungen wie
„[…]“, runzelte er die Stirn.
„[…]“, zuckte sie die Achseln.
„[…]“, schüttelte er den Kopf.
„[…]“, nickte sie.
Das ist falsch. Nichts davon ist ein Verb des Sagens, also kann keine der Formulierungen als Inquit-Formel verwendet werden.
Bei den von uns betreuten Texten sprechen wir das natürlich an. Die häufigste Reaktion: „Das ist nun einmal mein Stil.“
Jede Autorin und jeder Autor hat einen eigenen Stil, den einen mag man, den anderen nicht. Als Lektor:innen versuchen wir, den Stil des Autors so wenig wie möglich zu beeinflussen. Besonders in der Welt der Sprache gibt es unendliche Möglichkeiten und viele Nuancen sind einfach eine Frage des Geschmacks.
Inquit-Formeln sind keine Frage des Geschmacks. Sie enthalten entweder ein Verb des Sagens oder sind grammatisch falsch und können nicht durch den persönlichen Schreibstil gerechtfertigt werden. Besonders, wenn die Lösung so naheliegend ist:
Er runzelte die Stirn. „[…].“
Sie zuckte die Achseln. „[…].“
Er schüttelte den Kopf. „[…].“
Sie nickte. „[…].“
In eigener Sache
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